Die Wechselwirkung zwischen individueller Lebensgeschichte und allgemeiner Geschichte, die Hans Kilians Theorie der metakulturellen Humanisation stets hervorhob, spiegelt sich auch in seinem eng miteinander verflochtenen privaten und beruflichen Lebenslauf wider.
Das Leben und der wissenschaftliche Werdegang des am 30. März 2008 verstorbenen Professors für Sozialpsychologie und Angewandte Psychoanalyse wurden von den traumatischen Ereignissen der nationalen und globalen Geschichte des 20. Jahrhundert stark geprägt. Bereits in seinen jungen Jahren erfuhr Hans Kilian, der am 25. April 1921 in Wuppertal geboren wurde, die Schrecken der Hitlerschen Gewaltherrschaft und Unterdrückung. Diese Erfahrung wurde zum zentralen Moment in der Herausbildung seiner geistigen und politischen Identität. Bereits dem Jugendlichen zwang sich die Frage auf, wie sich Menschen zu bloßen "Objekten" äußerer Ereignisse und innerer Erlebnisse degradieren lassen, wie sie Objekte von ideologisch inszenierten Vorgängen werden können, die sie von der konkreten Wirklichkeit und sich selbst entfremden.
Obgleich ihm Geschichte und Soziologie viel mehr gelegen hätten, entschied sich Hans Kilian seinerzeit für das Medizinstudium in München, weil er Hitler nicht mit der Waffe dienen wollte. In München war er unter anderem mit der oppositionellen Gruppe "Weiße Rose" eng verbunden. Deren später ermordetes Mitglied Christoph Probst war ihm ein enger Freund.
Nach dem Abschluss des Studiums, das er zum Teil als damals einziger deutscher Student in Paris absolvierte, erhielt Kilian seit Anfang der 1950er Jahre in München seine Ausbildung in der psychosomatischen Abteilung der Universitätspoliklinik, deren Leiter er 1960 wurde. Als er 1965 den bekannten emigrierten Psychoanalytiker und Säuglingsforscher René Spitz zu "technischen" Seminaren nach München eingeladen hatte, kam es zu einer Auseinandersetzung zwischen Hans Kilian und seinem Chef, der einer in München dominierenden Gruppe von Analytikern angehörte, die im "Dritten Reich" die "jüdische Nachttopf-Psychoanalyse" (Carl Gustav Jung) "arisiert" hatte. Kilians Vertrag mit der Universität wurde nicht erneuert.
Kilian wurde 1970 an der TU Darmstadt habilitiert, lehrte dann kurze Zeit an der Universität Göttingen, ehe er von 1971 bis 1984 Ordinarius für Sozialpsychologie und Angewandte Psychoanalyse an der neu gegründeten Gesamthochschule Kassel war, einer Reformuniversität, an deren Entwicklung er sich seit ihrer Gründung unermüdlich beteiligte. Dort setzte sich Hans Kilian für die Etablierung der Psychoanalyse in allen sie betreffenden Studiengängen ein, insbesondere in der Lehrerbildung, der Sozialpsychologie und Sozialar- beit. Im Jahr 1979 wurde er zum geschäftsführenden Direktor des "Wissenschaftlichen Zentrums für das Studium der Psychoanalyse, Psychotherapie und Psychosozialen Hygiene" ernannt, das er mit Unterstützung einer auf seine Initiative an der Universität Kassel einberufenen Gruppe von Forschern und Professoren gegründet hatte.
Ziel dieses Zentrums war es, die "psychosoziale Humanisation" – die psychische Entwicklung des Menschen im sozialen und kulturellen Kontext – zu untersuchen. Viele Kollegen boykottierten jedoch seine trans- und interdisziplinär ausgerichtete Arbeit, die damals noch zu „fortschrittlich" erschien und von einigen als etwas übersteigerte Idee abgetan wurde. Tief verbittert trat der 63jährige Hans Kilian vorzeitig in den Ruhestand.
Die meisten seiner späteren wissenschaftlichen Texte, darunter auch das von der Hanns-Martin-Schleyer-Stiftung finanzierte, 1985 fertig gestellte Buchmanuskript "Wertbewusstsein und Geschichte. Versuch einer Ortsbestimmung der Gegenwart aus der Sicht einer historischen Evolutionstheorie", wurden nicht mehr veröffentlicht. Bis an sein Lebensende arbeitete er an seiner inter- und transdisziplinären Theorie der "metakulturellen Humanisation" und vernetzte dabei Begriffe und Modelle aus den Naturwissenschaften mit Erkenntnissen aus den Sozial- und Kulturwissenschaften, insbesondere der Psychologie und Psychoanalyse, der Soziologie, Sozial- und Kulturanthropologie sowie der Geschichtswissenschaften.
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Hans Kilian