Der Hans-Kilian-Preis 2015 ist der amerikanischen Psychoanalytikerin und Sozialtheoretikerin Jessica Rachel Benjamin (New York) zuerkannt worden.
Mit Jessica R. Benjamin ehrt die Köhler-Stiftung eine der international einflussreichsten Persönlichkeiten auf dem Gebiet der Psychoanalyse, Identitätstheorie und feministischen Psychologie für ihr wissenschaftliches Lebenswerk. Besondere Würdigung erfahren ihre fächer- und themenübergreifenden Perspektiven, die Niederschlag in verschiedensten Wissenschaftsbereichen von der Säuglings-, Geschlechter- und Traumaforschung über die Sozialphilosophie bis zur Kulturtheorie gefunden haben. Der maßgebliche Beitrag der praktizierenden Psychoanalytikerin zur Entwicklung einer relationalen, intersubjektiven Theorie des Selbst hat kontroverse, aber zugleich wichtige und fruchtbare Diskussionen zu den Grundlagen psychoanalytischen Denkens wie auch der psychotherapeutischen Praxis stimuliert.
Jessica Rachel Benjamin vereinigt in ihrem wissenschaftlichen und intellektuellen Werdegang sowohl fachliche als auch nationale Wissenschaftskulturen. In den Arbeiten der Adorno-Schülerin finden sich deutliche Bezüge zur älteren und neueren Kritischen Theorie, zur Intersubjektivitätstheorie Hegels, zur klassischen Psychoanalyse Freuds und ihrer vorwiegend amerikanischen Fortentwicklung in der Selbstpsychologie Heinz Kohuts und Daniel Sterns Entwicklungstheorie des frühkindlichen Selbst. Daneben finden sich wichtige Beiträge zur Etablierung einer feministischen Psychologie, die sie unter anderem in Abgrenzung zum französischen Poststrukturalismus entwickelt, wie sich das in kritischen Stellungnahmen zu manchen aktuell einflussreichen Gendertheorien, beispielsweise derjenigen von Judith Butler zeigt.
Neben ihrer Tätigkeit als Analytikerin lehrt Jessica R. Benjamin als Clinical Professor Psychoanalyse und Psychotherapie an der Graduate School of Arts and Science der New York University. Sie ist Mitbegründerin des Stephen Mitchell Centers for Relational Studies, dem sie auch als Vorstandmitglied dient. Desweiteren ist sie Gründungs- und Vorstandsmitglied der International Association for Relational Psychoanalysis and Psychotherapy (IARPP). 2001 wurde sie mit dem Distinguished Scientist Award der Sektion Psychoanalyse der American Psychological Association ausgezeichnet. Im Mai 2008 hielt sie die renommierte Sigmund-Freud-Vorlesung in Wien.
Benjamin, J. (2013). The Bonds of Love: Looking Backward. Studies in Gender and Sexuality, 14, 1-15.
Benjamin, J. (2011). Facing reality together discussion: With culture in mind: The social third. Studies in Gender and Sexuality, 12, 27-36.
Benjamin, J. (2010). Where's the gap and what's the difference?: The relational view of intersubjectivity, multiple selves, and enactments. Contemporary Psychoanalysis, 46, 112-119.
Benjamin, J. (2010). Can we recognize each other? Response to Donna Orange. The International Association for Psychoanalytic Self Psychology, 5, 244-256.
Benjamin, J. (2009). A relational psychoanalysis perspective on the necessity of acknowledging failure in order to restore the facilitating and containing features of the intersubjective relationship (The Shared Third). International Journal of PsychoAnalyisis, 90, 441-450.
Benjamin, J. (2005). From many into one: Attention, energy and the containing of multitudes. Psychoanalytic Dialogues, 15, 185-201.
Benjamin, J. (2004). Beyond doer and done to: An intersubjective view of thirdness. Psychoanalytic Quarterly, LXXIII.
Benjamin, J. (1997). Shadow of the other: Intersubjectivity and gender in psychoanalysis. New York: Routledge.
Benjamin, J. (1995). Like subjects, love objects: essays on recognition and sexual difference. New Haven, CT: Yale University Press.
Benjamin, J. (1988). The bonds of love: Psychoanalysis, feminism and the problem of domination. New York: Panthenon.
Einige von Jessica R. Benjamins Publikationen liegen in mehreren Sprachen vor. Auf Deutsch sind unter anderem folgende ihrer Werke erschienen: "Die Fesseln der Liebe", "Phantasie und Geschlecht", "Der Schatten des Anderen" sowie der Sammelband "Unbestimmte Grenzen – Beiträge zur Psychoanalyse der Geschlechter".
Die dritte feierliche Verleihung des Hans-Kilian-Preises fand am 24. April 2015 im Veranstaltungszentrum der Ruhr-Universität Bochum statt.
Neben den Preisträgern der Jahre 2011 und 2013, der Preisträgerin, den Mitgliedern des Preiskollegiums und des Vorstandes der Köhler-Stiftung nahmen daran zahlreiche weitere eingeladene Gäste teil, darunter der Rektor der Ruhr-Universität, Prof. Dr. Elmar Weiler, der mit einem Grußwort an der Eröffnung der Veranstaltung mitwirkte.Die Preisverleihung fand erwartungsgemäß bei WissenschaftlerInnen und Studierenden großen Anklang. Viele hiervon befassen sich mit Themen aus dem Feld einer interdisziplinären, historisch und zeitdiagnostisch ausgerichteten, sozial- und kulturwissenschaftlichen Psychologie, die auch Hans Kilian vertrat. Einige der Studierenden und KollegInnen nahmen in den vergangenen Jahren an vielen um den Hans-Kilian-Preis herum angesiedelten Aktivitäten wie bspw. der Hans-Kilian-Vorlesungsreihe teil.
Nach dem einleitenden Grußwort des Rektors Herrn Prof. Dr. Elmar W. Weiler begrüßte der Vorsitzende des Vorstandes der Köhler-Stiftung, Professor Dr. Wolfgang Mertens, die Anwesenden. Anschließend wandte sich die Stifterin Dr. Lotte Köhler in einer persönlichen Videobotschaft an die Gäste der Preisverleihung, in welcher sie Hans Kilians Lebenswerk in den Mittelpunkt stellte. In seiner Laudatio auf die Preisträgerin hob Dr. Werner Bohleber, Mitglied des Preiskollegiums für den Hans-Kilian-Preis, insbesondere Prof. Dr. Jessica Rachel Benjamins beeindruckendes Projekt einer psychoanalytischen Theorie der Anerkennung, welches sie in ihrem wissenschaftlichen Schaffen kontinuierlich ausformuliert, hervor.
Dr. Werner Bohleber beendete seine Laudatio mit der feierlichen Übergabe der Preisträgerurkunde an Prof. Dr. Jessica R. Benjamin.
Nach einem musikalischen Intermezzo (Trio folklorico, Folkwang-Universität der Künste, Essen) folgte die Preisrede der Preisträgerin zum Thema "Leben kann mehr als Einer. Die Überwindung von Opfertum und die Idee des moralischen Dritten". In Anschluss an eine weitere musikalische Pause fanden sich als Höhepunkt zum Ende der Preisverleihungszeremonie alle bisherigen drei PreisträgerInnen des Hans-Kilian-Preises sowie Prof. Dr. Lilli Gast und Prof. Dr. Jürgen Straub, beide Mitglieder des Preiskuratoriums, zu einer Podiumsdiskussion auf der Bühne zusammen. Diskutiert wurde Jessica R. Benjamins Idee des moralischen Dritten im Kontext historischer sowie aktueller sozialer Problematiken.
Abgerundet wurde das Abendprogramm mit einem feierlichen Empfang, in dessen Rahmen den Gästen auch die aktuellen, in Kooperation mit der Köhler-Stiftung und dem Hans Kilian und Lotte Köhler-Centrum (KKC) herausgegebenen Publikationen aus den bei dem Psychosozial-Verlag etablierten Reihen der "Hans-Kilian-Schriften" und "Hans-Kilian-Festschriften" sowie weitere zahlreiche, durch Zuwendungen der Köhler-Stiftung unterstützte Bücherveröffentlichungen vorgestellt wurden. Der Stroemfeld Verlag, in deren Reihe Prof. Dr. Jessica R. Benjamins wissenschaftliches Werk publiziert wird, war ebenso präsent.
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Hans Kilian Award 2015